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Tourismus- oder Tierschutzkonzept? Zu Gast im Arosa Bärenland

von: Ursula Thomas-Stein, kategorien: Content, SEO & Co., News, datum: 29.07.2019

Im Tourismus, vom Schwarzwald bis in die Alpen, sind immer neue Konzepte gefragt. Die Destinationen haben zwar eine Hauptattraktion – die Natur – aber heute muss noch mehr geboten werden. In Arosa sind es Braunbären.

Das Bärenland Arosa existiert seit Juli 2018. Seither: rund 60.000 Besucher, zweistellige Zunahmen der Gastroumsätze bei den Betrieben rundherum, zweistellige Zunahmen der Übernachtungen in Arosa; außerdem: über 14.000 Follower auf Facebook, Tausende Aufrufe der Video-Clips auf YouTube und anderen Social-Media-Kanälen, internationale Presseberichte. Zahlen, nach denen andere Destinationen sich die Pfoten lecken. Doch was steckt dahinter: Ein medialer Hype mit Jöh-Faktor wegen der drei geretteten Bären, die inzwischen hier leben? Oder ein zukunftsfähiges Tourismuskonzept mit echtem Tierschutz? Bitte mitkommen! Zum Ausflug ins Arosa Bärenland.

Der Wissenstransfer – geht unter die Haut

Kann ein Bärenschutzzentrum in der Anflugschneise einer Luftseilbahn, neben einem Bergrestaurant, wo es „bärenstarke Kinder- und Familienmenüs“ gibt, und einer Bären-Minigolf-Anlage wirklich artgerecht sein kann? Müssen die Tiere nicht wieder als Attraktion für ein touristisches Konzept herhalten? Mit diesen Fragen betrete ich die Anlage.

Raus aus der Mittagssonne, rein in die Besucherplattform durch einen Vorhang aus dicken langen Metallketten. Schwer und kalt fühlen sie sich an und führen direkt ins Thema: Braunbären allgemein, in Gefangenschaft, in kleinen Käfigen, als Jungtiere wie Hunde an der Leine geführt, als ausgewachsene Tiere an der Kette – mit einem Ring durch die hochempfindliche Nase. Fotos, Videos und Texte, die aufdecken, aufklären und unter die Haut gehen. Die packende Ausstellung, wie überhaupt das ganze Projekt, wurde zusammen mit der internationalen Tierschutzorganisation Vier Pfoten konzipiert und in Kooperation mit Arosa Tourismus, den Arosa Bergbahnen und Sponsoren umgesetzt. Nach einigen Stationen gelangt man ins Freie auf die Aussichtsterrasse. Puh! Jetzt ist es eine echte Freude, nach den drei geretteten Bären im Freigehege Ausschau zu halten. Ich denke, das Konzept „Tourismus trifft Tierschutz“ ist auch menschengerecht umgesetzt: Es fühlt sich gut an, hier zu sein.

Die Hauptattraktion: ist manchmal gar nicht zu sehen

Die Leute kommen hauptsächlich wegen der Bären. Die können sich in den Stallungen aufhalten, direkt unter der Besucherplattform – unzugänglich fürs Publikum, oder irgendwo im großen Gehege mit Bäumen, Felsen, Sträuchern und ein paar Tümpeln. Nicht immer erspäht man die Hauptattraktion – einen der Bären oder gar alle drei. „Am meisten überrascht mich das Verständnis der Gäste“, erklärt Pascal Jenny, Tourismusdirektor von Arosa, bei seiner Einführung auf der Terrasse. „Sie verstehen, dass die Bären ihr eigenes Leben führen können und sollen. Sprich, auch ohne ‚Bärensichtbarkeit‘ sind die meisten Besucher zufrieden. Sie nehmen die Möglichkeit vom Wissenstransfer an und lassen sich begeistern“.

Auf der Terrasse setzt sich das interaktive Konzept fort, das spielerisch informiert. Vier angestellte Tierpfleger und vier ehrenamtliche Mitarbeitende haben neben der Tierpflege auch Einsätze an der Kasse und auf der Plattform, wo sie Gästen Fragen beantworten. Gerade, wenn die Bären nicht zu sehen sind, sei eine intensive Präsenz nötig, erklärt Jenny weiter. Wir haben Glück: Die Bärin Amelia kommt aus der Stallung und trottet entspannt ins Gelände – wortwörtlich – unter den aufmerksamen Blicken der Gäste. Sie lässt sich nieder und putzt sich. Auf der Plattform wird jetzt geflüstert. Kinder und Erwachsene schauen der Bärin gebannt zu.

Das Bärenprojekt geht weiter – auch eine Idee für andere Orte?

Napa, der erste Bär, ist vor einem Jahr hier eingezogen. Vor kurzem sind Amelia und Meimo aus einer anderen Käfighaltung dazugekommen. Wenn die Vergesellschaftung weiter so gut läuft, werden im Frühling 2020 vielleicht noch zwei Tiere hier ein Zuhause finden. Das Gehege mit seinen drei Hektar hat gemäß den Vorgaben von Vier Pfoten Raum für insgesamt fünf Bären. Außerdem erarbeitet Jenny mit Arosa Tourismus ein Akademie-Konzept, das auch nächstes Jahr starten soll.

Ob Tourismus und Tierschutz wirklich zusammen passen und sich das Konzept auch für andere Orte empfiehlt? Pascal Jenny sagt: „Ja, sie sind hervorragend vereinbar“. Erfolgreich könne man vor allem dann sein, wenn das Konzept konsistent sei und wenn das Tierschutz-Thema eine gewisse Dominanz habe. „Bei uns äußert sich dies so, dass die Bären nicht immer sichtbar sind – und wir aber keine Maßnahmen ergreifen, auch wenn manche Touristen ‚ungeduldig‘ werden“.

Neben dem Tiermanagement – Futter, Training, Wägen – machen die Tierpfleger auch täglich die Zaunrunde, um die Sicherheit zu prüfen. Zudem analysieren sie jeden Tag die Tier-Webcams und können so das Verhalten der Bären verfolgen. Arosa Tourismus deckt über die Marketing-Kommunikationsabteilung mit vier Mitarbeitenden Social Media, Medienarbeit und die Betreuung der Webseite ab.

Mein Fazit – eine unerwartete Projekttiefe mit stimmigem Tourismus- und Tierschutzkonzept

Die Ausstellung und das stimmige Konzept haben mir viele Fragen beantwortet. Was vor Jahren als spontane Idee von Tourismusdirektor Pascal Jenny anfing – einen Bären notfallmäßig vom Berner Zoo aufzunehmen (was dann nicht klappte) – führte schließlich zur ernsthaften Verfolgung und Umsetzung des ersten Tierschutzprojekts von Vier Pfoten in der Schweiz.

Für die Bären ist es ein ziemlich optimaler Ort geworden, um natürliches Verhalten – zum Beispiel Futtersuche – zu erlernen, um medizinisch versorgt zu werden, um so frei wie möglich zu leben. Interessant, wie die Arbeit auch den Initiator Jenny verändert hat: „Ich bin zum Tierschutz-Fan geworden“, sagt er. „Ich hatte vor dem Projekt nicht viel Wissen darüber, ich kannte die Probleme und das Leid nicht. Nun agiere ich sehr oft im Sinne vom Tierschutz, auch in der touristischen Arbeit.“

Alle Themen rund um Napa, Amelia und Meimo werden in einer multimedialen Content-Strategie mit vielen Geschichten kommuniziert – insofern „verdienen“ die Tiere ihr Quartier. Aber ohne dieses Konzept und ohne die Leute, die dann kommen und den Tourismus beleben, wäre dies auch nicht zu finanzieren. Man darf gespannt sein, wie sich das Projekt weiterentwickelt.

Mein Dank – geht auch an das Netzwerk „Frauen im Tourismus“

Als Texterin aus Freiburg, die schon Konzepte und Pressetexte zu Orten im Schwarzwald und zu den Schweizer Bergen entwickelt hat, war ich zu diesem Event eingeladen. Yvonne Wüthrich, die früher bei Arosa Tourismus im Marketing tätig war, hat als Insiderin den Ausflug mitorganisiert. Übrigens: Unsere gut gelaunte zehnköpfige Gruppe erreichte nach einem kurzweiligen Spaziergang das Bärenland und konnte schon von Weitem alle drei Bären im Gelände entdecken. Einer der vielen eindrucksvollen Momente, an diesem lehrreichen und spannenden Tag.

Mehr Infos zum Tourismuskonzept Arosa?
www.arosabaerenland.ch/ 
www.vier-pfoten.de/kampagnen-themen/tierschutzzentren/baerenland-arosa

Ein stimmiges Gesamtkonzept in Arosa